Aus der Fotoserie: "In Ihrer Sprache ist keine Lösung verfügbar"
Grösse: variabel
Technik: Farbfoto Print
Jahr: 2011
Videostill aus der Performance: "packen"
Grösse: 10 Min
Technik: Video / Ton
Jahr: 2011
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Zur Ausstellung
Ricarda Denzer
much has been said — In Ihrer Sprache ist keine Lösung verfügbar.
Ordnungen sind etwas, dem wir inzwischen eher skeptisch gegenüberstehen. Wir wissen um deren Ambivalenz, deren Organisationsmacht unserer Welten. Das ist leicht zu kritisieren, man maßt sich einfach ein Außen an. Denn ihre Einteilungen verstauen vieles, was uns nicht angenehm ist, unsere eigenen Anteile an ihrer Aufrechterhaltung beispielsweise. Von ihren gar so einfachen Klassifizierungen, Kategorisierungen und sauberen Schnitten wissen wir zwar, richten uns dennoch gern darin ein, wenn die Dinge zu kompliziert werden, wenn die Welt sich also immer wieder durchbrechend zeigt, wie sie ist: erschreckend komplex.
Ricarda Denzer nun geht mit Ordnungssystemen offensiv um, und sie denkt sich darin mit. Sie montiert, sie entwendet etablierte Bedeutungen, um sie durch andere – meist Bilder (die durchaus auch als akustische oder sprachliche in Erscheinung treten) – durcheinanderzubringen und damit zu anderen Ansichten zu kommen. Diese Art der Organisation, der Um-Ordnung, schickt sich nicht an, die alten zu ersetzen, sprich: in denselben Irrtum zu verfallen, unsere Sehnsucht nach linearen Antworten zu befriedigen. Vielmehr gelingt es ihr, Parallelen auftauchen zu lassen, komplexe Bezüge, die dabei mehreren Logiken folgen können. Damit hat sie ein Element von Historizität freigelegt: das seiner verrückten Vielfalt, seiner durchaus kausalen Verkettungen, die sich irgendwann verselbständigen können, oder aber andersherum: der Zufälle, die sich zutragen, um dann in gegenseitige Bedingtheiten einzutreten.
Die Montage mehrerer Arbeiten Denzers im Kunstraum Bernsteiner ermöglicht nun neben der Erfahrung der spezifischen Narration der einzelnen Arbeiten ein Verständnis für das strukturelle Vorgehen der Künstlerin.
„La croûte du chou/ das Saure vom Kraut“, „Restore“ und „Smugeln“, hier in einer Verschachtelung präsentiert, haben ein gemeinsames Element, das sie verbindet und gleichzeitig Unterschiede im Zugang sichtbar machen kann: das des mobilen Aufnahmestudios „10m2“, eines der Atomphysik entliehenen Orbitalmodells, das Denzer gemeinsam mit dem Architektenteam Heinz Machat/ heiKE/NZ entworfen hat. Dieses Setting kann für wechselnde Situationen adaptiert werden und einerseits die Position aller Beteiligten, von der Interviewten über die InterviewerInnen, Übersetzerin zur Künstlerin, andererseits die räumlichen Verhältnisse aus- bzw. sogar bloßstellen. So können schließlich deren Verknüpftheit und eingeschriebene Machtstrukturen in einen visualisierten Zustand der Reflexion überführt werden. Sie zeigt dabei vor allem das Bewegliche von Macht, die, auch in der künstlerischen Auseinandersetzung und AutorInnenschaft, nicht mit derselben Sprache oder Attitüde daherkommt. So wird greifbar, dass Macht auch deshalb so unausweichlich ist, weil sie gewandt ist, sich den Situationen anzuschmiegen. Das heißt aber auch, dass sie selbst abhängig von den Kontexten ist, in die sie eintritt. Und in diesem Sinn ist sie trotz ihres Flottierens aufspür- und verhandelbar.
Zwei Projekte sollen exemplarisch das strukturelle Denken von Denzer illustrieren:
„Smugeln“ (2006-2011) ist ein gemeinsam mit der Kunsthistorikerin Franziska Lesák interdisziplinär angelegtes Projekt in Prag, in dem das mobile Studio das erste Mal zum Einsatz kam. Das futuristische, schwarze Teil wurde in den Wohnungen von tschechischen KunsthistorikerInnen, KünstlerInnen und Autoren regelrecht invasorisch als Objekt platziert, was so auf eine ganz unmittelbare Weise die dahinter stehende Problematik sichtbar machen konnte: Wer kommt zu wem? Und wenn es wie hier der Westen ist, der den Osten aufsucht, geschieht das wirklich neutral oder transportiert sich doch immer auch ein gewisses Autoritäts- und Dominanzgebaren?
Die Übersetzerin in der Kabine wurde ihrer eigentlichen Funktion beraubt und fungierte als Zuhörerin, als stumme Zeugin der Erzählungen. Ja, die Fragen gingen in die Richtung, wie sich eine totalitäre Diktatur mit den zeitlichen Abschnitten Prager Frühling, sowjetischer Repressionspolitik und Mauerfall auf das kreative Schaffen legt, d.h. welche Arten der Produktion in solchen Zeiten möglich waren. Aber das Sprechen über künstlerische Produktion und ihre Bedingtheiten verlief auf einer Ebene, die jene gern vom Westen eingenommene Allwissenheit ad absurdum führte. Denzer führte ein Hineinschmuggeln in die Ausdrucksweise der jeweils anderen Kultur auf, wo sich im Allgemeinen beide nur das zu entnehmen scheinen, was in ihre eigenen Kontexte passt, was also immer nur als Komplement des Eigenen dienen wird.
In „Restore“ (2008), eine Auftragsarbeit für die Biennale in Santa Fé in New Mexico, USA, wurde das Studio als gelbes Modell in die Wüste importiert. Das Gelb rekurriert auf die Fake-Architektur dieser Region, auf die Aneignung von indigenem Land durch US-AmerikanerInnen. Die traditionelle Bauweise mit rotem Lehm wird nachgeahmt, allerdings mit einer typisch gelben Verschalung darunter. Das selbst wie ein Raumschiff anmutende Studio ruft aber auch die in dieser Gegend angesiedelte Weltraumforschung auf, und, soll man sich wundern, ausgerechnet von hier ausgehende Spekulationen über Außerirdische in Erinnerung. Genau in Santa Fé, wurden erstmals Marsmenschen „gesichtet“. Das Bild, das wir von den Aliens haben, verdanken wir also den USA.
Darüber hinaus fand eine Geschichte zu Denzer, die von Rose Dugan, einer amerikanischen Pilotin, und Vera von Blumenthal, einer tschechischen Kunsthandwerkshändlerin, die 1918 als erste Sante Fé wirklich überflogen haben. Die beiden Frauen ließen sich dort nieder, wurden Liebhaberinnen und gründeten den ersten Indian Art Market, der seit 80 Jahren besteht und heute drittgrößter Kunstmarkt in den USA ist. Es ist eine inszenierte Ironie der besonders schönen Art, wenn man nun wieder an „Smugeln“ zurückdenkt: Die tschechischen Intellektuellen verhandeln auf höchstem Niveau die Geschichte der Moderne und Postmoderne, und die USA, DAS Sinnbild des westlichen, hegemonialen Kunstkanons, werden zum Ort der Auseinandersetzung mit noch dazu nativem Kunsthandwerk und darin eingerichteten Herrschaftsverhältnissen.
Arts and Craft und die Herkunft von Blumenthals führen nun wieder in das Wien der 1920er Jahre, zur Wiener Werkstätte, zum Jugendstil und zu einer Generation von Wiener Sammlerfamilien, die durch den Holocaust ausgelöscht wurde. Denzer gelingt es, über die GeschichteN von Kunsthandwerk und die geografischen Sprünge die Thematik der Restitution, der Vernichtung, Vertreibung und Enteignung in einer neuen Komplexität und Korrespondenz zu begreifen, die Antisemitismus und Kolonialismus in einen Bezug zu setzen vermögen. Ewig könnte man so Fäden weiterspinnen.
Die neu entstandenen Arbeiten verhandeln ebenso Fragen von Ordnungen, tatsächlich auf der „Oberfläche“ eines Individuums, wobei Denzer der bekannten Gefahr einer Überbewertung des darin enthaltenen „Ichs“ mit augenzwinkernder Leichtigkeit entgeht, weil es eben gar nicht um die Person geht. Vielmehr geht es um das Potenzial der Arbeit an uns selbst, was eine real so verschwindend winzige und gleichzeitig doch so nachhaltige Rebellion gegen bestehende Ordnungen darstellt.
In einem Video hat Denzer das Packen, Falten und Sortieren eines Fallschirms im Ausstellungsraum selbst festgehalten. Diese Tätigkeit gleicht einem rituellen Vorgang und zeigt dabei jeden einzelnen notwendigen Schritt, um Sicherheit zu erlangen, sich zu organisieren, sich zu ordnen. Der Fallschirm wird wie ein Kleidungsstück um den Körper gerafft, um dann losgelassen zu werden. Das Falten des Stoffes, das Paketpacken, Vorbereitungen einer Reise, zurück und dabei immer ins Ungewisse, sind die Motive dieser Videobilder, die damit eine gewisse Nähe zu Lebensführungen nahe legen: Verantwortung und Eigenverantwortung in der Metapher des fliegenden Menschen.
Ein Foto, in dem sich schließlich die Künstlerin selbst vertrauensvoll einem Illusionisten überlässt, um sich zum Schweben bringen zu lassen, führt diese Auseinandersetzung mit Verantwortung weiter und integriert dabei auch Fragen der Transformation bzw. Auflösung von Subjektkonstitutionen. Vielleicht klingen hier nochmals Fragen nach Bedingtheiten und Fremdstrukturierungen unserer Seinsweisen, aber auch nach allzeit möglichen Ermächtigungsprozessen und –handlungen an, und das nicht nur in der einsamen Auseinandersetzung mit sich selbst, sondern in sozialer Interaktion, die immer auch Macht- und Ordnungskonstellationen meint, die es zu gestalten gilt.
In Ricarda Denzers Arbeiten erscheint immer wieder die Bedeutung von Fiktionen für die Veränderung der Wahrnehmung der scheinbar „so sein müssenden“ gegebenen Situationen. Fiktionen bedeuten dabei alles andere als erfundene Geschichten zu erzählen. Sie stiften vielmehr einen neuen Bezug zwischen Sichtbarem und seiner Bedeutung - und damit bringen sie Aufteilungen durcheinander. Denzers Hörstücke, Videos und Objekte erkunden auf außergewöhnliche Weise, was die Formen der Verbindung zwischen Wörtern und Dingen sein könnten, zwischen den Formen der Äußerungen und den Modi sinnlicher Präsentationen von „Objekten“, auf die sich diese Äußerungen beziehen. *
* vgl. Jacques Rancière, Ist Kunst widerständig?, hg. von Frank Ruda und Jan Völker, Berlin, 2008, S. 71-72
Carola Platzek |