Thomas Feuerstein, SIGNIFIKANT, 2013. Kohle auf Papier, 120 x 160 cm

 

THOMAS FEUERSTEIN

FUTUR II

 

 

 

Ausstellungsdauer: 19. November 2013 bis 25. Jänner 2014

 

Eröffnung 18. November 2013, mit einer Performance von:

The Carbon Cycle. Maurizio Nardo und Norma Giovannini

 

 

 

 

Thomas Feuerstein

FUTUR II, Ausstellungskatalog, Cover

Veranstaltung: Cocktailstunde mit Katalog 18. Dezember 2013

 

Thomas Feuerstein und Thomas Seppi, Medizinische Universität Innsbruck, mixen im Rahmen der Katalogpräsentation FUTUR II einen speziellen Cocktail: keinen Aperitif, keinen Digestif, sondern einen Suggestif, so trocken wie die Wissenschaft. Unter der Moderation von Veronika Rudorfer von SCHLEBRÜGGE.EDITOR plaudern Feuerstein und Seppi über Kunst und Wissenschaft.


Die Cocktailstunde fand in der Ausstellung FUTUR II statt, in der Thomas Feuerstein ein Biotop aus Skulpturen, Bildern und Zeichnungen entstehen lässt, in dem sich künstlerische Fiktionen, soziale Utopien und naturwissenschaftliche Fakten mischen. Die gleichnamige Skulptur FUTUR II verwandelt künstlich gezüchtete Algen in wenigen Stunden zu Kohle, die Feuerstein für seine Bilder und Zeichnungen dienen: Es entsteht Kohle für die Kunst.

Thomas Feuerstein

FUTUR II, 2013, Ausstellungsansicht

 

Thomas Feuerstein

LABORANT, 2012
Glas, Metall, Kunststoff
78 x 210 x 120 cm

 

Thomas Feuerstein

SUBJEKT (FOSSIL V), 2013
Anthrazitkohle, Patentschriften
43 x 43 x 21 cm

 

Thomas Feuerstein

KONJUNKTIV (FOSSIL I), 2013
Anthrazitkohle
15 x 63 x 47 cm

 

Thomas Feuerstein

FUTUR II (TIME MACHINE I), 2013
Glas, Metall, Kunststoff
270 x 240 x 200 cm

 

Thomas Feuerstein

POLPO, 2013
Glas, Metall, Kunststoff, Grünalgen (Chlorella vulgaris),
Pumpe, Leuchtmittel
Maße variabel

 

 

Alois Bernsteiner


FUTUR II

 

Kunst sammeln ist mit Leidenschaft verbunden, aber nicht allein für Werke, auch für Ideen und Konzepte, Menschen und ihre Gedanken. Diese Haltung wurde durch Gespräche mit Alfred Hrdlicka in meiner Jugend geprägt, wodurch sich über die Jahre neben meiner Sammeltätigkeit eine begeisterte und aktive Teilhabe an künstlerischen Projekten entwickelte. Ausstellungsräume sind im Sinne des Kunstvereins friendsandart Orte der Freundschaft, an denen lebendig Kunst entsteht und die offen für Neues sind. Im Juni 2009 eröffnete der kunstraum Bernsteiner in der Schiffamtsgasse in Wien mit der Ausstellung MANIFEST von Thomas Feuerstein. Eine große geschnitzte Hand führte einen Kohlestift von unsichtbaren Kräften gesteuert über die Wand. Es waren aber keine okkulten Mächte wie bei einem Hexenbrett, sondern Börsendaten des Versicherungsmarktes Lloyds of London. Die Hausse- und Baissebewegungen verdichteten sich über die Dauer der Ausstellung zu einer wandfüllenden Wolke aus schwarzer Kohle.


In der Ausstellung FUTUR II spielt ebenfalls Kohle eine zentrale Rolle. Als Ausgangsmaterial dienen Feuerstein Grünalgen, die in speziell gefertigten Glasobjekten beziehungsweise Bioreaktoren heranwachsen. Die Biomasse der Algen wird der titelgebenden Skulptur FUTUR II zugeführt, die über das chemische Verfahren der hydrothermalen Karbonisierung eine Verkohlung des organischen Materials erzielt. Einer Zeitreise gleich verwandeln sich die Pflanzenzellen innerhalb weniger Stunden in Kohle, die erdgeschichtlich Millionen von Jahren dauern würde: Es entsteht Kohle für die Kunst. Die produzierte Kohle wird zu Stiften gepresst, mit denen Feuerstein seine Zeichnungen fertigt.


Parallel zur selbst produzierten Kohle finden sich in der Ausstellung Skulpturen aus alter Anthrazitkohle: eine Schreibmaschine, ein Zylinderkopf, eine Nähmaschine, ein Mikroskop und Bücher. Sie wachsen aus grob behauenen Blöcken und erinnern an Fossilien. Die Gegenstände sind uns noch vertraut, aber gleichzeitig gehören sie einer vergangenen Epoche an. FUTUR II liest sich demnach melancholisch und wie ein Bruch, denn unsere Kultur, wie wir sie kennen und erleben, ist im Begriff, gewesen zu sein. In der deutschen Grammatik findet das Futur II, die vollendete Zukunft, immer seltener Verwendung und scheint sprachlich zum Fossil geworden zu sein. FUTUR II will Feuerstein nicht als Prognose und Prophezeiung, vielmehr als Paradoxie verstanden wissen: Wer möchte in einer Gegenwart leben, deren Zukunft vorweggenommen und vollendet ist? Genau hier setzen Feuersteins Arbeiten den Hebel an und konfrontieren uns mit Möglichkeiten, die es durchzuspielen und zu deklinieren gilt. Sie fügen sich in der Ausstellung wie Worte zu einem Satz, die je nach Stellung ihren Sinn verschieben, indem die aus der Grammatik entlehnten Arbeitstitel uns zu Sprachspielen mit Bildern und Objekten verführen.


Die Unterscheidungen zwischen Natur und Kultur, Vergangenheit und Zukunft beginnen sich in FUTUR II zu überlagern und schaffen einen Zustand, der Prozesse und Wandlungen in den Vordergrund rückt. Spezifisch für Feuersteins Arbeiten ist dabei sein Umgang mit Materialien. Sie sind weder zufällig noch pragmatisch gewählt, sondern erzählen auf einer molekularen Ebene Geschichten. Die Trennung zwischen Inhalten und Materialien ist aufgehoben und wird bei Feuerstein zu einem charakteristischen Kriterium bildender Kunst. Materialien sind für ihn Bedeutungsträger und Medien für Transmutationen: Aus Licht und Fotosynthese werden Algen, aus Algen wird Kohle und aus dieser wiederum Zeichnungen. In diesem Sinn schafft die Ausstellung eine Landschaft und ein Laboratorium aus Sprache und Objekten, in dem sich Prozesse aus Biologie, Chemie und Science-Fiction überlagern und mit sozialen Szenarien mischen.


Für die Realisierung und das Gelingen der Ausstellung FUTUR II sowie der begleitenden Publikation gilt mein herzlicher Dank Thomas Feuerstein, mit dem mich seit Jahren eine Freundschaft verbindet. In Zusammenhang mit dem vorliegenden Katalog sei insbesondere der Galerie Elisabeth & Klaus Thoman gedankt und namentlich Hartmut Böhme für das aufschlussreiche Gespräch mit dem Künstler in der Berliner Galerie 401contemporary. Nicht zuletzt möchte ich allen Künstlerinnen und Künstlern danken, die mich im Sinne des Futurs II freundschaftlich begleitet haben werden.

 

 

Thomas Feuerstein (*1968) lebt in Wien. Seine Arbeiten beziehen Prozesse und Transmutationen ein, wobei spezifische Materialitäten eine zentrale Rolle spielen. Materialien finden sowohl als Träger von Bedeutungen und Narrationen als auch in Form von Werkstoffen Verwendung. Wesentliche Aspekte bilden dabei das Zusammenspiel sprachlicher und visueller Elemente, das Aufspüren latenter Verknüpfungen zwischen Fakten und Fiktionen, sowie die Verschränkung zwischen Kunst und Wissenschaft.