18.10.– 15.11.2003
Dependance Bernsteiner, Dreherstraße 75B, 1110 Wien
Uli Aigner | Christian Hutzinger : |
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bekommen
Raum
bekommen eine Ausstellung
bekommen Öffentlichkeit
bekommen voneinander |
Die
Halle des Gebäudes im elften Bezirk Wiens ist gerade neu gebaut worden.
Der schwarz asphaltierte Boden, die langen hohen Wände ohne Fenster,
aber zwei Neonlichtbändern an der Decke verleihen dem Raum einen strengen
kühlen White Cube ähnlichen Charakter So lag es wohl nahe, vor
dem Einzug der Firma des privaten Kunstsammlers Alois Bernsteiner diesen
Raum, vor seiner Funktionalisierung als Firmenhalle, zwei Künstlern
als Ausstellungsort zur Verfügung zu stellen.
Photo: Werner Kaligofski
Die Wiener Künstlerin Uli Aigner und der Wiener Künstler Christian
Hutzinger wurden eingeladen, im Herbst 2003, die gesamte Fläche des
Gebäudes mit einer Ausstellung zu bespielen. Entwickelt hat sich eine
Ausstellung in der die beiden Künstler nicht nur Bezüge zum Raum
und zur Architektur herstellen, sondern sich auch, sowohl inhaltlich wie
formal auf die Arbeiten des jeweilig anderen beziehen. Gezeigt werden großformatige
Bilder des Malers Christian Huizinger und ebenso große Farbzeichnungen
von Uli Aigner, sowie eine Rauminstalletion, die von der Künstlerin
während einer Performance bespielt wird. Zwei Künstlerpositionen,
wie sie unterschiedlicher kaum sein können, denkt man im ersten Augenblick.
Die mit Buntstiften ausgemalten gestischen Papierzeichnungen Aigners stehen
den großen Leinwänden, klaren Formen und perfekten Oberflächen
des Malers Hutzinger gegenüber.
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CHRISTIAN HUTZINGER
o.T. 240x190cm, Acryl/LW, 2003
Photo: Werner Kaligofski
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In Hutzingers Acrylmalereien scheinen wir auf eine Art Formelsprache zu
stoßen. Immer wieder finden sich die gleichen geometrischen Grundformen,
allein variierend in Größe und Farbigkeit. Wie Gleichungen auf
einer Tafel erscheinen sie entweder auf streng monochrom oder orthogonal
gerastertem Hintergrund. Der Bildaufbau wirkt statisch, die dargestellten
Objekte schablonenhaft und eindimensional. Diesen in Pastellfarben gemalten
Bildern fehlt jede menschliche Geste. Fast hat man den Eindruck, als müsste
der Blick des Betrachters an ihren perfekten, gestenlosen Oberflächen
abgleiten. Doch die scheinbare Harmlosigkeit dieser Bilder entlarvt sich
bald selbst. Und offenbart uns den subtilen Spannungsreichtum, der sich
unter diesen makellosen Oberflächen abzeichnet und sich zusehends in
den Vordergrund und in unser Bewusstsein drängt.
So erkennen wir, dass die in so harmlosen und gefälligem Pastell abgetönten
Farben in starkem Kontrast zueinander gesetzt sind. Da steht Rot neben Grün,
Gelb neben Violett. Die geometrischen Formen sind ihrer Ecken beraubt, alles
ist abgerundet, abgemildert. Jedoch wirkt es nicht organisch, sondern bestärkt
eher noch die Künstlichkeit, die diesen Bildern innewohnt. Wie ein
zusätzliches Schutzschild trennen die Umrisslinien die einzelnen Formen
vom Hintergrund und voneinander. Nichts scheint eine Verbindung miteinander
einzugehen, auch nicht die Elemente die sich scheinbar innerhalb eines anderen
befinden, oder vielleicht doch nur davor. Bei genauerer Betrachtung kommen
sich einzelnen Bildelemente so nahe wie es nur möglich ist, ohne sich
dabei tatsächlich zu berühren. Dieses Moment der Verunsicherung
wird durch die gar nicht so statische Anordnung der Formen noch betont.
Da ist nicht alles im rechten Lot. Einzelne Bildteile scheinen zu schwanken,
beinahe zu kippen. All diese Oppositionen bieten ein aggressives Moment,
das Bewegung in die Malereien bringt.
Da wird das Bild plötzlich zum Raum und die bloßen Formen zu
Gegenständen und Objekten. Wie Glaszylinder, Röhren und Kolben
in einer chemischen Versuchsanordnung formieren sich die eben noch flachen
geometrischen Bildelemente zu komplexen Aufbauten. Kreise werden zu Kugeln,
Rechtecke zu Gefäßen und Konturen zu Schläuchen. Es stellen
sich Beziehungen ein. Ein Gegenstand mündet in den Nächsten, manche
von ihnen geben Dinge ab und andere nehmen sie in sich auf. Vielleicht ist
es eine Maschine, oder doch eine Art Organismus, dessen Zellen immer wieder
aufnehmen und abgeben. Jedes einzelne Bild für sich wirkt nun wie ein
Detail aus einem noch viel größeren, übergeordnetem Zusammenhang.
Die Anschnitte einzelner Objekte am Bildrand verleiten dazu, die verschiedenen
Kompositionen wie die Teile eines Puzzles zusammenzufügen und die Maschine
oder den Organismus ins unendliche wachsen zu lassen. Dabei scheinen manche
Bilder zu passen und andere nicht. Trotzdem bleiben die einzelnen Leinwände
in sich geschlossen. Es scheint weniger etwas in die Malereien hineinzuführen,
als aus Ihnen heraus.
Diese Bilder erklären sich nicht selbst. Wir erfahren nichts über
den Zweck oder den Sinn der gemalten Prozesse. Allein der Vorgang des Aufnehmens
und Abgebens, des mit- und nebeneinander wird uns immer wieder vor Augen
geführt. Eine Formel, viele Gleichungen.
Während wir auf den Bildern Hutzingers so sparsam wie präzise
gesetzte, abstrakte Gegenstände sehen, begegnen uns auf den Papierzeichnungen
Uli Aigners echte Menschen. Kinder, die durchs Bild laufen oder
auf dem Boden liegen, Geburtstagstorten. Unter den Kindern die Mutter und
im Hintergrund der Vater mit dem Terminkalender.
Das klingt nach bunten, lauten und überfüllten Familienschnappschüssen.
Doch die Künstlerin geht sehr präzise mit ihren Motiven um.
ULI AIGNER "Sonntag" und "Geburtstag"
je 225x266cm, Buntstift/Papier, aus der Serie "Keimzelle des Staates"
2003
Photo: Werner Kaligofsk
Den kräftigen, buntstiftfarbigen Figuren im Vordergrund stehen teilweise
nur leise mit dünnen Strichen angedeutete Umrisslinien des Mobiliars
im Hintergrund gegenüber. So Sind die Menschen auf den Zeichnungen
aus ihrer Umgebung herausgelöst und die dargestellte Szene könnte
sich überall ereignen. Aber geht es hier um einen bestimmten, existenten
Ort oder vielleicht vielmehr um einen imaginären austauschbaren Raum,
der Stellvertreter für den privaten sowie den gesellschaftlichen Rahmen
ist? Eine andere Zeichnung zeigt sowohl die Figuren als auch den Hintergrund
sehr detailliert. Sogar die Fenster sind mit tiefblauen Schraffuren ausgemalt.
Zusammen mit den markant waag- und senkrecht dargestellten Wänden wirken
sie wie eine drückende Barriere und verdeutlichen so die Enge, in der
sich die Personen befinden. Wie viel Raum steht den Bildakteuren zur Verfügung?
Beschreibt die Darstellung den persönlichen Freiraum, den die Personen
sich gegenseitig zuwilligen oder sich abringen? Wird hier der gesellschaftliche
Rahmen sichtbar gemacht, der die gezeigten Figuren stützt oder doch
eher einengt? Gehen Raum und Personen überhaupt eine Beziehung miteinander
ein? - Denn lediglich der Boden, auf dem die Figuren stehen, ist ausgemalt
und hält sie auf einer Art Inselplattform zusammen. Dieser Raum ist
austauschbar, sind es die Menschen auch?
Während bei der Kleidung die Stoffmuster bis ins Detail genau gezeichnet
und ausgemalt sind, bleiben die Gesichter nur schemenhaft angedeutet. Die
Akteure werden von ihrer individuellen Identität befreit und in kompositorische
Elemente übersetzt. So löst die Künstlerin die gezeichneten
Menschen aus ihren privat wie gesellschaftlich vorgegebenen Rollen heraus
und stellt sie in die Möglichkeit neuer Zusammenhänge. Die Maße
der Figuren stehen in keiner echten Relation zumdargestelltenRaum oder zueinander.
Bekannte Hierarchien werden außer Kraft gesetzt.
Durch Überblendungen schafft Uli Aigner nichtlineare Situationen: eine
Mutter, die zweimal im Bild auftaucht, im Hintergrund ein Kind umarmend,
am rechten Bildrand mit dem Telefon in der Hand. Eine Frau zwischen ihren
Kindern und dem Beruf? Erfüllt diese Frau unseren heutigen Anspruch
der Karrierefrau und Mutter oder ist sie überfordert und wird der Situation
nicht gerecht? Wieso bewundern wir die Eine und verurteilen die Andere?
Wo ist der Vater? - Im Hintergrund, scheinbar nicht im Geschehen involviert,
kommt er vielleicht gerade von der Arbeit heim und braucht seine Ruhe. Wir
begegnen dieser Vorstellung verständnisvoll.
Was sind das für Erwartungen, die sich beim Anblick dieser Szenen in
uns formulieren? Uli Aigner extrahiert das Typische und Allgemeingültige
der Familiensituation und öffnet die privaten Bilder nach außen.
Diese gezeichneten Menschen werden zu einem Nebeneinander von isolierten
Farbflächen und sind Projektions- und Reflektionsfläche zugleich.
So werden die dargestellten Bildinhalte zu Formeln mit einer Variablen für
den Betrachter. Was uns fesselt ist die Energie, die von diesen gestischen
Oberflächen ausgeht. Die fleißig mit kräftigen Buntstiftfarben
ausgemalten Flächen verleihen ihnen einen stark eindringlichen Charakter.
Erst wenn man direkt vor den großen, farbigen Flächen steht,
bemerkt man die Strich für Strich sorgfältig ausgemalte Fleißarbeit
und ein System wird erkennbar: die großen Flächen sind in viele
kleine rechteckige (Arbeits-) Einheiten zerlegt die das ganze Bild in eine
Art Raster einspannen. Die Zeichnungen haben etwas Manisches. Die Wichtigkeit
der dargestellten Szenen für die Künstlerin wird spürbar.
Genauso wie die bloße Lust an der Gestaltung, die auch in ihrer Rauminstallation
sichtbar wird.
ULI AIGNER "essen" Performance 2003, Photos: Werner Kaligofski
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ULI AIGNER "essen" 2003, Installation
ca 200x200x70cm
Photo: Werner Kaligofski
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In der Installation/Performance "essen" übersetzt
Uli Aigner die Bildelemente der Malereien von Christian Hutzinger in den
dreidimensionalen Raum. Mit verschiedenen, grell farbigen Stoffen bezogene
Sitzkuben werden zu einer Gruppe arrangiert. Sowohl in der Farbgestaltung
als auch in ihrer rechteckigen Form mit abgerundeten Kanten beziehen sie
sich auf die zellenartigen Kapseln Hutzingers.
Uli Aigner und Lisa Erb sitzen bei der Performance auf je einem der Kuben.
Während der gesamten Dauer der Vernissage essen sie vom Büffet
nebenan. Die beiden Ateurinnen befehlen sich gegenseitig, was wann und in
welcher Reihenfolge zu Essen und zu Trinken ist. Kalter Braten, Wurst, Käse
Salat, Oliven. Gurken, Wein, Bier... Dabei herrscht kein militärischer
Befehlston vor, aber es klingt doch sehr bestimmt und erinnert an eine Mutter,
die ihr Kind davon überzeugt, seinen Teller freiwillig aufzuessen.
Christian Hutzingers Thema Aufnehmen und Abgeben wird hier in der Performance
ebenfalls wieder weiterverarbeitet. Jedoch geht Uli Aigner nicht so spielerisch
und erzählerisch wie Hutzinger damit um, sondern steigert es ins Zwanghafte
und Unangenehme. Dabei führt sie die Prozesse des Auferlegens und der
Fremdbestimmung ganz beiläufig ad absurdum.
Noch absurder wirkt der 2 mal 2 Meter große Spiegel, der so über
der Installation aufgehängt ist, dass die Ausstellungsbesucher das
Geschehen auch aus der Vogelperspektive beobachten können. Wie eine
Videoleinwand wirkt die Spiegelfläche, die das Ereignis live dokumentiert
und damit nach außen trägt. Die Reduktion auf eine Ebene lässt
eine Distanz zum Betrachter entstehen, der das Geschehen wie durch einen
Fernsehapparat verfolgen kann. Gleichzeitig wird die Installation wieder
zu einem Bild und stellt eine formale Analogie zu den Gemälden Christian
Hutzingers her.
Text: Alexander Stern