26.11.2004 – 25.1.2005
Dependance Bernsteiner, Dreherstraße 75B, 1110 Wien
Nin Brudermann : NASD
Projekt Fledermaus
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NIN BRUDERMANN
NASD Projekt Fledermaus
Installation Mixed Media
Ausstellungsansicht
Foto: Michael Goldgruber
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NIN BRUDERMANN
NASD Projekt Fledermaus
Videostill
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Jahrzehnte lang diente der Westteil der puertoricanischen Insel Vieques
als U.S. Naval Ammunition Support Detachment (NASD), während der östliche
zu militärischen Übungszwecken bombardiert wurde. Als die U.S.
Navy 2001 unter öffentlichem Druck abzog, blieb auf der Insel eine
geisterhafte Bunkerlandschaft zurück, die binnen kurzer Zeit von den
auf der Insel heimischen Fledermäusen buchstäblich okkupiert wurde.
Ein Jahr nach Abzug des amerikanischen Militärs begann sich die in
New York lebende Künstlerin Nin Brudermann eingehend mit dem fast menschenleeren
von ihr als "Batropolis" bezeichneten Ort auseinander zu setzen.
Dabei mischte sie sich unter die WissenschaftlerInnen, die gelegentlich
die Insel besuchen, um die während der militärischen Übungen
kontaminierten Böden zu analysieren oder auch spezialisierte Studien
an Fledermäusen durchzuführen. Als Künstlerin drang Brudermann
in die Parallelwelt der Naturwissenschaften ein. Sie sammelte, dokumentierte
und forschte selbst.
Aus dem umfangreichen Material aus Videoaufzeichnungen, Fotografien, wissenschaftlichen
Analysen und gesammelten Pflanzensamen verfasste Brudermann eine Geschichte.
Wie bereits in dem Video "Baby Rhino" von 1996 verwendet die Künstlerin
dokumentarisches Bildmaterial zur Re-Inszenierung einer an sich wahren Begebenheit.
Doch während die Dramaturgie eines echten Hyänenüberfalls
auf ein junges Rhinozeros mit Happy End – ein Löwe vertreibt
die Hyänen – auf der dramatischen Zuspielung der gegensätzlichen
Musikstücke "Spiel mir das Lied vom Tod" und "What a
Perfect Day" aufbaut, ist das "NASD Projekt Fledermaus" weitaus
komplexer aufgebaut. Aus insgesamt fünf Kameraperspektiven, darunter
drei Helmkameras, schafft Brudermann eine Doppelprojektion einer nächtlichen
Exkursion durch die Bunker der Insel Vieques, die sie gemeinsam mit einem
ausschliesslich auf Fledermäuse spezialisierten Wissenschaftler unternahm.
Durch die Verwendung von Helmkameras spiegelt Brudermann den Blick des Forschers
wider und verweist auch auf Überwachungskameras und Realtainment und
unsere Lust das "echte" Leben anderer passiv zu erleben. Gleich
einer hautnahen Sportberichterstattung oder einer Reality Show kann dem
merkwürdigen Treiben der ProtagonistInnen gefolgt werden. So geht die
Gruppe von Bunker zu Bunker, fängt Fledermäuse ein und sammelt
deren ausgespuckte Samen. Dabei handelt es sich keineswegs um sadistische
Riten sondern um von SpezialistInnen angewendete wissenschaftliche Arbeitspraktiken.
Fledermäuse werden unter anderem zur Untersuchung ihrer Ernährungsgewohnheiten
in kleinen Säckchen gefangen, bis diese ihre Exkremente entleeren oder
mittels Klebestreifen werden Haare und anhaftender Staub gesichert, die
sowohl toxikologischen als auch botanischen Untersuchungen dienen: welche
Pflanzen werden von welchen Fledermäusen bestäubt, wo fliegen
diese herum, was fressen sie und vieles mehr. Die Wiedergabe der dargestellten
Welt ist grundsätzlich authentisch, wobei die Erzählsprache jene
der Künstlerin ist. Sie dringt sowohl in eine merkwürdige wissenschaftliche
Nische als auch in eine sinnentleerte militärische Struktur ein. Im
Unterschied zu Filmen wie "The Blair Witch Project" soll das Material
nicht nur Authentizität vermitteln, sondern ist tatsächlich dokumentarisch.
Hier nutzt Brudermann die Aufzeichnungen wissenschaftlicher Untersuchungen,
um mittels perfektem Schnitt und Soundmodulation ein Genre zwischen wissenschaftlicher
Dokumentation und gruseligem Dogmafilm zu schaffen. Es ist ein Grenzgang
zwischen Abenteuer und Forscherwahnsinn, dem sich die Künstlerin in
ihren Projekten stets gezielt aussetzt.
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NIN BRUDERMANN Reina de la Noche (Die Königin der Nacht)
NASD Projekt Fledermaus, 2004 digitaler C-Print 115x167cm
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In ihrer Präsentation in der Bernsteiner Dependance – ein von der
Wiener Kunstsammlerfamilie Bernsteiner mit hohem Engagement geführter
Kunstraum – sucht Brudermann das installative Zusammenspiel des Zweikanalvideos
mit zu drei Tableaus angeordneten Videostandbildern, einer Vitrine mit lebenden
Pflanzen, Klebestreifen mit Proben und der Fotografie "Die Königin
der Nacht". Letztere zeigt eine gruselige Mondlandschaft mit dem nur
einmal im Jahr für nur eine Nacht blühenden von Fledermäusen
bestäubten Kaktus mit dem Namen Königin der Nacht. Ein bedeutendes
Ereignis für BotanikerInnen, Interessierte, TouristInnen und Pflanzennarren,
welches hier zum Teil einer unheimlichen Kulisse wird. Die lebenden Pflanzen
zog die Künstlerin aus den von den Fledermäusen ausgespuckten und
von ihr gesammelten Samen als ihren eigenen Forschungsbeitrag. Doch obwohl
alle ausgestellten Materialien Forschungsdokumente sind, formt sie die Künstlerin
schlussendlich zu Kulissenmaterial ihrer Nacherzählung einer wahren Geschichte
um. Sie spielt mit cinematografischen Codes aus Horrorfilmen, baut Spannung
mit geschickten dramaturgischen Mitteln auf, ohne diese jedoch einzulösen.
Denn das Projekt geht weit über eine Auseinandersetzung mit der Naturwissenschaft
hinaus. Die Künstlerin widmet sich den grundlegenden Fragestellungen,
was Authentizität und Realität bedeuten und wie mit diesen Begriffen
in Wissenschaft, Film und Kunst umgegangen wird, wie diese instrumentalisiert
und in Frage gestellt werden (können). Was ist Fiktion und was Tatsache?
Sind die Pflanzen tatsächlich aus jenen von der Künstlerin gesammelten
Samen gezogen? Spielt dies eigentlich eine Rolle? Das Aufleuchten der Taschenlampen
kreiert in Brudermanns Videoprojektion die Geschichte, die im düsteren
Dunkel weitergesponnen werden kann. Es ist ein Vexierspiel von Wissenschaftsrealtainment,
wissenschaftlichen Relikten als (scheinbare) Beweisstücke des Echten
mit jener des Filmgenres.
Die Schau in der Bernsteiner Dependance ist ausserordentlich gelungen.
Brudermann führt im Spiel mit filmischer, dokumentarischer und wissenschaftlicher
Ästhetik nicht nur die Absurdität manch spezialisierter wissenschaftlicher
Aktivitäten, sondern auch jene des menschlichen Seins an sich vor Auge.
Im Zeitalter der Helmkamera und der sensationslüsternen massenmedialen
Aufbereitung hinterfragt sie das, was wir als Realität vermuten. Die
Arbeit ist vielschichtig und ihre Wirkung ist dramatisch, gruselig und absurd
schön zugleich.
Dieter Buchhart in: KUNSTFORUM international, Band 174, S.
341, 2005