29.11.2003 –31.01.2004
Dependance Bernsteiner, Dreherstraße 75B, 1110 Wien
Christoph Hinterhuber : coming
closer3
Eröffnungsevent : 8–Channel Buddha PETER SZELY
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CHRISTOPH HINTERHUBER
03 re-evolution: 2003, originalsiebdruck auf
alucopan, 100x150 cm,
text: thomas feuerstein
02 zeichen: 2002, originalsiebdruck auf alucopan, 88x66 cm
02 systems: 2002, originalsiebdruck auf alucopan, 66x200 cm
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coming closer
1. Oberfläche
coming closer ist nicht nur der Titel einer Ausstellung,
er ist Programm: Wenn man zu nahe kommt, verliert man den Abstand
und ist mitten drin. Insofern befinden wir uns jetzt in einem Bildraum
und nicht vor einem Bild. Paradoxerweise ist dieser Bildraum aber
kein Raum, er ist reine Fläche und dieser Zustand von Oberfläche
ist symptomatisch für unsere Gesellschaft, die wiederum Produkt
einer kulturellen Evolution ist. Kulturelle Evolution erfolgt seit
der Neuzeit in ihrer ursprünglichen Bedeutung (lat. evolutio)
als Ausrollen/Aufschlagen verschiedenster Schriftrollen und Bücher:
das Buch des Kosmos, der Natur, der Materie, des Lebens, unserer Gene
usw. Mit dem Ausrollen geht eine Verflachung von Welt einher, denn
nur Oberflächen lassen sich lesen und dekodieren, was sich als
Ästhetik der Naturwissenschaft auf die Formel "Gewahrwerdung
von Weltwerdung durch Bildwerdung" bringen lässt.
Dieses Programm der Transformation der Welt in Oberfläche hat
sämtliche Umwelt- und Gesellschaftsbereiche von den Wissenschaften
über die Politik und Ökonomie bis zu urbanen und semiotischen
Räumen erfasst und wird gemeinhin als Mediatisierung von Alltag
beschrieben. Seitdem leben wir in und unter dem Regime der Oberfläche
und der Images. Diese Verflachung von Welt erleben wir primär
als Nivellierung des Raums und der Zeit, was sich tendenziell über
Phänomene der Telematik oder elektronische Netze fortlaufend
verstärkt. Räumlich leben wir seitdem im Flatland (Edwin
A. Abbott) und zeitlich im Zustand des Steady State (Hermann Bondi,
Thomas Gold und Sir Fred Hoyle), der Beginn- u. Endlosigkeit... |
2. Bildsysteme
Das Bild markiert eine Schnittstelle, ein Interface oder eine Grenze zwischen
getrennten Welten und Wirklichkeiten, wobei der traditionelle Künstler
als Polizist oder Zöllner der Wahrnehmung fungiert.
Er exekutiert stilistische Gesetze, die Handel und Verkehr zwischen Betrachter
und Bild gewährleisten.
Der Stil ist die legislative Gewalt, die einerseits den Import von Interpretationen,
Sehgewohnheiten, kulturellen Codes etc. regelmentiert und andererseits den
Export von Farben, Formen, Fakturen etc. limitiert und ordnet.
a) Westliche
Kunsttradition:
Ikonische/perspektivische Bildsysteme von Piero della Francesca bis Playstation,
Quake oder Unreal:
saugen uns immersiv in einen jenseitigen Raum: d.h. die Grenzen der Bildoberfläche
samt seiner Materialität wird überschritten; das Bild ist ein
metaphorisches Raumschiff, ein Übersetzungsinstrument, das uns hinter
die Leinwand transferiert.
b) Östliche
Tradition:
Nicht wir transzendieren hinter die Leinwand, sondern etwas wird aus der
mythischen Tiefe nach vorne zur Erscheinung gebracht: = Emanation des Mystischen.
Beide Systeme operier(t)en mit restriktiven Dispositiven/Stilgesetzen,
um Grenzverläufe oder bilaterale Verrechnungen zwischen Bild- und Kognitionsräumen
zu markieren/kontrollieren.
Christoph Hinterhuber bricht mit coming closer diese Traditionen:
kognitive, semiotische, soziale, architektonische, virtuelle etc. Räume
werden wechselseitig/oszillierend invertiert, woraus perverse, d.h. durchgedrehte
Räume resultieren, die sich gegenseitig durchdringen und bedingen.
Es entstehen Räume, die gleichzeitig außerhalb von uns und in
uns sind, gleichzeitig ekstatisch und "endostatisch" sich konstruieren.
In Anlehnung an das Möbiusband könnte von einem Möbiusraum
gesprochen werden, der sich gleichsam einem Uroboros selbst verzehrt und
wieder gebiert: ein Code, der sich selbst prozessiert und evolutiv überschreibt.
3. Codierung:
codifizierte Oberfläche bei Hinterhuber: weniger Piktogramme/Zeichen
als Buttons/Links.
Escape, Worldwide, Yogi in Einheit mit Atomen, Gehirn als Handgranate, Geländeauto/Explorer,
Waffe etc. sind Navigationstools einer Psychogrammatik.
Diese Psychogrammatik sprengt solipsistische Tautologien - etwa jene der
konkreten Poesie – , indem eine Psychopoiesis startet:
Die Arbeiten stellen keine Texte, Bilder vor, denn die Ängste, Hoffnungen
etc. sind bereits in den Köpfen, werden hier nicht illustriert, sondern
getriggert. Programm von Metabildern, die posthypnotisch wirken, d.h. als
Brandmarks sind sie unserem Gehirn/Erinnerung eingebrannt. Werden beim Betrachten
wachgerufen u. generieren in uns Befindlichkeiten, funktionieren als Psychotexte...
Als Betrachter sind wir kulturell codiert; Code ist Teil unseres Betriebssystems/Denkens.
Was Hinterhuber gleichsam zu einem Psychohacker macht, ist Archetypen der
Oberflächenkultur in uns wachzurufen; d.h. als Rezipienten sind wir
Schläfer, die nun beim Betrachten einen Programmmodus aufrufen.
Text: Thomas Feuerstein
Einladungskarte.pdf
Photos: Ansicht Halle
aussen und Ausstellungsansichten